Das wesenliche Merkmal des Tantrismus ist die Betonung des femininen Prinzips. Alle Hindus sind in einem wesentlichen Punkt einig: die Triebkraft der Welt ist stets weiblich….von hier nimmt der Shaktische Tantrismus, eine mystische Strömung des Hinduismus, ihren Ausgang.

Gott, behaupten ihre Vertreter, könne ohne Shakti nicht existieren, und Shakti sei darum Gottes Hauptbestandteil, ja Gott selbst.
Danach, welche Göttin als Shakti angebetet wird, könnte man innerhalb des Tantrismus in Brahmaniten, Vishnuiten und Shivaiten unterscheiden. Doch tritt Brahmans Gemahlin, Sarasvati, hier gar nicht in Erscheinung. Selbst Vishnus Gattin Lakshmi spielt nur eine ganz untergeordnete Rolle. Die große Mehrzahl der Tantrika verehren Shivas Gemahlin, Shakti…

Der Shaktische Tantrismus ist auch auf den Mahayana Buddhismus nicht ohne Einfluss geblieben und hat in Nordindien, Tibet, Nepal und später China und sogar der Mongolei wesentlich zur Entstehung einer neuen Glaubensrichtung, des Vajrayana-Buddhismus beigetragen, der einen umgekehrten Weg als die bisherige Theologie einschlägt. Dieser lässt alles Weltliche aus einem Urbuddha herausgehen, dessen Attribute ein Vajra (Donnerkeil – anderes Wort für Lingam = Jadestab) und eine Glocke sind. Das eine symbolisiert die ins sich ruhende Weisheit und männliche Schöpferkraft, das andere die weibliche Empfänglichkeit.
Auf ihm sitzt eine Frauengestalt in Liebesumarmung – YAB-YUM … die Realität umfängt die Illusion und es entsteht die Vielheit der Dinge….

MAITHUNA, die lebensspendende Vereinigung, die “große Lust” des Göttlichen, der Inbegriff der tantrischen Mystik, war geboren…

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