Warum ist dieser Tanz “heilig”?

Die Gesten und Bewegungen des orientalischen Tanzes haben ihren Ursprung in den  vorgeschichtlichen mutterrechtlichen  Gesellschaften und den Tempeln der antiken Kulturen, wie die der Sumerer, Griechen, Ägypter und Inder.

Damals wurde die Große Göttin, die Kosmische Mutter verehrt. Ein breit gefächertes Spektrum von weiblichen Gottheiten – z.B. Fruchtbarkeitsgöttinnen, Muttergöttinnen, Weisheits- und Liebesgöttinnen – versinnbildlichten die vielen Gesichter der einen Göttin und die Bereiche, die Frauen in diesen frühen Gesellschaften innehatten – z.B. den der  Mutter, der Schöpferin, der Erhalterin,  der Seherin, der Heilerin, der Geliebten, der Initiatorin …

Da die Tätigkeiten der Priesterinnen, die in diesen Tempeln dienten, im Kraftfeld einer Göttin stattfanden, wurden sie „Heilige“ genannt und sie hatten „heilige Körper“.  Im sakralen Tanzritual verbanden sie sich mit der Göttin und  traten in ihr Energiefeld ein, ob diese nun  Innana, Demeter, Isis oder Shakti  hieß.

Tanzend erreichten sie höhere Bewusstseinsebenen und spirituelle Dimensionen.  Die Energie, die durch den Tanz in ihren Körpern freigesetzt wurde, gaben sie den Tempelbesuchern weiter, die sich an dieser göttlichen Kraft nährten.

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Die Mysterien der Urfrauen

Der Tempeltanz der antiken Hochkulturen hatte sich aus den schamanischen Tänzen  der matriarchalen Kulturen der Urzeit entwickelt.

Als Matriarchat wird in Matriarchatstheorien und sonstigen Publikationen ein Gesellschaftstyp bezeichnet, in dem alle sozialen und rechtlichen Beziehungen über die Abstammung der mütterlichen Linie organisiert sind, in dem die religiösen Vorstellungen auf eine Ahnfrau oder Urgöttin zurückgeführt werden und in dem Frauen eine zentrale Rolle in Gesellschaft und Religion einnehmen. Sie können sich frei entfalten und genießen hohes Ansehen.

Die Männer waren damals Jäger, die Frauen Sammlerinnen. Die Frauen trugen viel mehr zum Überleben bei, als die Männer, denn die Jagd war ungewiss, aber Früchte, Knollen, Wurzeln und Kleintiere waren immer vorhanden. So entstand eine tiefe Verbundenheit mit der Natur, die die Menschen unmittelbar ernährte. Man glaubte an die große kosmische Mutter, an die Ganzheit des Weiblichen und an die Fähigkeit der Frauen, Kraftgeberinnen und Initiatorinnen zu sein.

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Der Tanz war in diesen Kulturen die älteste und elementarste spirituelle Äußerung. Nachts kamen die Frauen – unter Ausschluss der Männer – zusammen, um die weiblichen Mysterien zu feiern.

Durch den Tanz brachten sich die Frauen in Einklang mit dem Kosmos, durch ihn gaben sie sich dem Leben und dem Göttlichen hin. Der Tanz diente zur völligen Öffnung des Herzens. Ihr ganzes Sein erzitterte in der Anbetung der Großen Mutter, der Urgöttin. Sie benutzten ihre Körper, um einen spirituellen Zustand zu erreichen und dem Göttlichen näher zu kommen.

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Indische Tempeltänzerinnen

Lange nachdem um ungefähr 1500 v.Chr. Bajaderen – südindische Tempeltänzerinnen – nach Ägypten gekommen waren, wo sie die kräftigen, etwas steifen Bewegungen des Hoftanzes in weich fließende Linien auflösten, schufen die Frauen an der Nordküste Afrikas, den  südlichen und östlichen Mittelmeerländern sowie in den Wüsten des vorderen Orients  einen Tanz von hoher Kunstfertigkeit, in dem die Kraft aus dem Becken die Basis bildete. Die ursprünglichen Bewegungen des sakralen Frauentanzes blieben darin erhalten. Auch heute noch spürt man im orientalischen Tanz archaische Reste von stolzer weiblicher Kraft, Spiritualität und Sinnlichkeit – aber sein heiliger Charakter ging vor allem im Westen, wo er sich nach und nach  zu einem Unterhaltungstanz entwickelte, verloren.

Östliche Tänze hingegen lösten nie ihre Bindung an sakrale Rituale, in denen Körper und Geist sich als Einheit in Bewegung setzten.

Der erotisch-sexuelle Aspekt im östlichen Tanz bezieht sich stets auf eine erhabene, geheiligte Liebe – menschliche Liebe als Symbol für Liebe zum Göttlichen.